CHANTEURS A VOIX

KURZE LIEDER - TRAURIGE LIEDER - SEEMANNSLIEDER

Dorothea Schürch Stimme; Singende Säge
Christoph Gantert Trompete; Tuba
Ben Jeger Akkordeon
N A V Y   C U T
SCHÜRCH
GANTERT
JEGER
DRS2   UNIT RECORDS
RECREC

Die Welt als Salon

Angefangen hat alles damit, dass vor einigen Jahren die Avantgarde-Sängerin Dorothea Schürch sich in den Soundtrack der genialen Fernsehserie »The Singing Detective« verliebte, der voll von altem Jazz und Herz-Schmerz-Songs aus den Zwanziger- bis Vierzigerjahren war. Sie bekam Lust, selber solche Lieder zu singen. Eines davon heisst trotzig »I get along without you very well«, doch wirklich allein mit ihrer singenden Säge auftreten mochte Madame Schürch denn doch nicht, und so gründete sie das Ensemble Chanteurs à Voix. Von den wechselnden Begleitmusikern ist einer übrig geblieben, der wunderbare Akkordeonist, Organist und Glasharfenspieler Ben Jeger, der eine grosse Liebe zu Filmmusik und ganz besonders zu Fellinis Hauskomponist Nino Rota hat. Neu hinzugekommen ist der Bläser Christoph Gantert, der so ziemlich jedes Blech zwischen Taschentrompete und Basstuba spielt. All diese Instrumente zusammen erlauben wunderliche Klangfarben und überraschende Arrangements, was der grossen Bandbreite des schürchschen Repertoires entspricht, das von Salonmusik bis zu Hanns Eisler, von Grace Jones bis zu Georg Kreisler - ja von Bilbao bis nach Singapur reicht.

Züritipp

  Jeger Schürch Gantert

Alte Klamotten, neu probiert

Das Trio Chanteurs à Voix spielt - ein Trio. Sie spielen, für Jazzmusiker eher ungewöhnlich, Seemannslieder, das eine oder andere von Brecht/Weill, alles alte Klamotten, dazwischen einmal ein Chanson, ein Tangolied von Astor Piazzolla, einen Musicalsong, kurz: Was das Trio Chanteurs à Voix, die Sängerin Dorothea Schürch, der Akkordeonist Ben Jeger und der Trompeter und Tubist Christoph Gantert, in ihrem Programm »Navy Cut« spielen, ist eine Gratwanderung zwischen Kitsch, Knorz und Kunst. Musik für Kneipe und Kellertheater.

Für die Gratwanderung haben sie eine gute Lösung gefunden. Sie spielen nicht Seemannslieder oder Brecht/Weill, sondern spielen ein Trio, das Seemannslieder oder Brecht/Weill spielt. Ein kleiner, aber entscheidender Unteschied. Wer Brecht/Weill und Seemannslieder singt, muss sich zu diesen Musiken verhalten, affirmativ oder kitschig, als getreuer Diener oder frecher Clown, stellt sich vor oder hinter, über oder unter Brecht/Weill. Wer eine Musikgruppe spielt, der schlüpft wie ein Schauspieler in die Rolle des Musikers, er kann sie ausprobieren, überzeichnen oder bloss skizzieren. Was bleibt, ist eine Distanz nicht bloss zur Musik, sondern auch zur eigenen Rolle.

Natürlich kommt auch Doro Schürch nicht um Lotte Lenya herum, und wenn sie eine Musicalmelodie singt, auch nicht um Liza Minnelli. Sie zitiert deren Timbre, probiert den Klang an wie ein Kleid, das man in der Boutique schnell von der Stange nimmt, und wo die Lenya besonders verrucht musikalisch die Beine spreizt, die Minnelli mit der Seide raschelt, da lockt es natürlich auszuprobieren, ob man es auch so kann; aber dazwischen findet sie auch eigene Töne, sarkastische oder schmucklose, sozusagen mit einer Züri-Schnurre gesungen. So oszilliert die Interpretation, ohne sich festzulegen, und dennoch nicht x-beliebig.

Ben Jeger und Christoph Gantert sind ideale Begleiter, ihre Musik auf Akkordeon und Tuba, hin und wieder Trompete, ist knapp, skizzenhaft; alles ist da, aber nichts zu viel. Und vor allem spielen sie den Background so beiläufig, gekonnt mit einem leichten Hang zur Schludrigkeit und Nonchalance, als sei er nicht der Rede wert. Sie demonstrieren weder ihre Virtuosität als Jazzmusiker noch die augenzwinkernde Ironie der Komiker. Sie geben dem Zuhörer keine Anweisung, wie der die Sache zu hören hat. Und da beginnt die Sache ja erst richtig spannend zu werden.

Christian Rentsch,
Tagesanzeiger 5.1.01